Haus Reddersen

Im Februar 1896 gründeten verschiedene "gemeinnützige Männer" unter Vorsitz von Heinrich Otto Reddersen den "Verein für die Bremische Idiotenanstalt,  um eine Lücke in der Reihe der bremischen Wohltätigkeitsanstalten zu füllen. Im Vorstand des Vereins saßen neben Reddersen u.A. der Bremer Senator Hermann Hildebrandt , der Direktor der Krankenanstalten in der St. Jürgen-Str. Dr. Johann Stoevesandt und der Pastor J. Fr. Iken.
Ein Jahr später erwarb der Verein ein sechs Morgen großes Grundstück nahe der Hamburger Bahn in Horn. Ebenso wie bei der wenige Jahre später erfolgten Verlegung des Mädchenwaisenhauses, führte die Kombination der beschaulichen, ruhigen Umgebung einer Landgemeinde mit der Nähe zur Stadt, die mit der 1892 eröffneten Straßenbahnstrecke für alle Bevölkerungsteile in kurzer Zeit erreichbar war, zu der Standortentscheidung.
Die Bauplanung übernahm der Bremer Architekt Johann Wilhelm Blanke, der weitere 500 - heute z. T. unter Denkmalschutz stehende - Gebäude in Bremen u. A. im Parkviertel und in der Feldstraße gebaut hatte.     
Am 4. September 1898 wurde im Luisental die "Bremische Idiotenanstalt" in Anwesenheit der Senatoren Ehmck, Oelrichs und Buff feierlich eröffnet. Es war die erste Pflege- und Erziehungsstätte für körperlich und geistig behinderte Kinder und Jugendliche in Bremen. Zehn Jahre später wurde die Einrichtung nach ihrem Gründer in "Haus Reddersen" umbenannt. 

Die Einrichtung wurde als Zentralbau mit Nebengebäuden geplant. Das Haupthaus bot Platz für die Unterbringung von 60 Personen; Neben den Wirtschaftsräumen und den Schlafsälen war es mit Badeeinrichtungen, Handarbeitsräumen,  einer Turnhalle und einer Veranda ausgestattet; eine extra Pflegestation bestand aus je einem Schlafraum für Jungen und Mädchen, einem Zimmer für die Pflegerin und einem extra Badezimmer. Die Geschlechter wurden streng getrennt. Im ersten Stockwerk wohnten die Mädchen, im zweiten die Jungen mit Wärter-, Unterrichts-,  Wasch- und Wäschezimmern sowie Toiletten. Für den Anstaltsleiter war eine Dienstwohnung im zweiten Stock vorgesehen; auf dem Boden befanden sich die Schlafräume des Dienstpersonals. 
Die Gartenanlage wurde von Parkdirektor Ohrt angelegt. auf ihr befanden sich Spielplätze, ein großer Nutzgarten mit Gärtnereibetrieb und ein Wirtschaftsgebäude Waschküche, Trockenboden und Ställen für Schweine und Geflügel.. Der Bau der Anlage kostete 183 500 Mark von denen 93 000 Mark mit Sammlungen und "einmaligen großen Gaben" aufgebracht wurden.
Die Behinderten erhielten in 4 Klassen Unterricht und wurden handwerklich gefördert. Nach ihren Möglichkeit und Wünschen wurden sie mit Gärtnerarbeiten, Korbflechten, Stuhlberohren, Matten-Flechten  beschäftigt und unterwiesen. 

Vierzig Jahre später stand die Einrichtung während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft vor ihrer Auflösung. 1934 wurde das Haus Reddersen in das Programm der Zwangssterilisierung einbezogen; 1937 konnte die Übernahme durch die NSV abwendet werden. 1939 wurde das haus vom staatlichen Gesundheitsamt beschlagnahmt. Die im Haus untergebrachten Kinder und Jugendlichen wurden auf einen LKW geladen und in andere Einrichtungen deportiert, in denen viele von ihnen, körperlich und seelisch vernachlässigt, starben. 
Sie wurden Opfer der nationalsozialistischen Rassenhygiene, in der Behinderte als unwertes Leben keinen Platz mehr hatten. Die arisch einwandfreien "gesunden" Kinder berechneten in der Schule die Kosten für das Leben der "Erbkranken" in gegen Eigenheime für "erbgesunde Arbeiterfamilien" aufzurechnen.

"Unter Zugrundelegung des berechneten monatlichen durchschnittlichen Tageskostenpreises von RM  0,56 sind die bis zum 1. September 1941 entstandenen wirklichen Ersparnisse zu errechnen.  Diese betragen [...] RM 8.969.116,80 [bei] 70.273 Desinfizierten.“ (1)

Das Personal, die Einrichtung und einige wenige Insassen wurden dem St.-Joseph-Stift als Hilfskrankenhaus zugewiesen, das mit 50-80 Betten als Ausweichkrankenhaus genutzt wurde. In der Turnhalle wurde eine Kapelle für die Schwestern und die katholischen Patienten eingerichtet. 1944 wurde das Haus Reddersen für die Unterbringung erkrankter Fremd- und Zwangsarbeiter aus 25 Bremer Arbeitslagern, unter anderem dem Lager Achterstraße, genutzt. Nach dem Ende des Krieges wurde das Haus vor allem für alliierte zivile Patienten genutzt. Nach der Verlegung der Ausländer nach Farge lehnt der Direktor des St.-Joseph-Stifts die Nutzung ab, da der Zustand des Gebäudes zu schlecht gewesen sei. 1947 bezogen PatientInnen der "Klinik für Haut- und geschlechtskranke" das Gebäude, das nun "Klinik Horn" genannt wurde. 1951 wurde die "Klinik Horn" eine Abteilung der städtischen Nervenklinik die hier LangzeitpatientInnen unterbrachte. 1955 wurde das Haus von der Stadtgemeinde erworben, die es bis Ende der 70er Jahre als Station für männliche Pflegefälle nutzte.

Am 30. Januar 1978 wurde das "Haus Reddersen" abgerissen; an seiner Stelle wurden zwei Altenheime gebaut (1978? und 2008); heute erinnern an dieser Stelle in den Fußweg eingelassene Stolpersteine an das Schicksal von 7 Insassen während des Nationalsozialismus, ebenso wie die in unmittelbarer Nachbarschaft nach dem Gründer des Hauses benannte "Reddersenstraße", an die bewegte Zeit dieses Gebäudes und seiner Bewohner.

zurück zum Luisenthal

(1) Bundesarchiv, All. Proz. 7., FC 1813
Gerda Engelbracht, Das Haus Reddersen, Donat Verlag Bremen, 1995
(
www.kulturkonzepte-bremen.de)
DRUCKEN   |   FENSTER SCHLIESSEN