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      Peter Weiss 
      
       (* 
      8. November 1916 in Nowawes bei Potsdam; † 10. Mai 1982 in Stockholm; ) 
      Schriftsteller, Maler, Grafiker und Experimentalfilmer. 
      Peter Weiss erwarb sich in der deutschen Nachkriegsliteratur  als 
      Verfasser autobiografischer Prosa wie auch als politisch engagierter 
      Dramatiker einen Namen. Internationalen Erfolg erzielte er mit dem Stück
      Marat/Sade, das mit dem US-Theater- und Musicalpreis „Tony Award“ 
      ausgezeichnet wurde.  
      1981 Literaturpreis der Stadt Köln (Heinrich-Böll-Preis) 
      1982
      Literaturpreis der Stadt Bremen für Die Ästhetik des Widerstands  
      1982
      De Nios-Preis („Kleiner Nobelpreis“) verliehen, aber nicht überreicht 
      1982
      Georg-Büchner-Preis für Weiss' weitgespanntes Werk (posthum) 
      1982 Schwedischer Theaterkritikerpreis (svenska teaterkritikerpriset) 
      (posthum)
      Peter Weiss wohnte von 1923-1927 mit seinen Eltern in der 
      Marcusallee 
      45; er wurde in der alten Horner Grundschule an der Berckstraße 
      eingeschult. In seiner Erzählung Abschied von den Eltern beschreibt er 
      seine Kindheitserinnerungen in Horn: 
      
      Ich ging die Allee hinab, und meine schwarzen Schnürstiefel färbten 
      sich weiß im Staub der Allee, und Friederle ging neben mir, und die weißen 
      Schwäne schwammen im Teich, und in einem Garten tänzelte ein Pfau und 
      öffnete seinen schillernden Federfächer, und es war der erste Schultag. 
      Wir trugen jeder eine Tüte, voll von süßen, klebrigen Himbeerbonbons, von 
      überall her strömten Kinder der Schule zu, und jedes trug eine Tüte zum 
      Trost, und die Furcht vor der Schule ist klebrig und süß vom Geschmack der 
      Himbeerbonbons. Doch vorm Schultor floh ich zurück, ich lief zurück über 
      die schwarze, hartgestampfte Schlacke des Schulhofs, ich lief auf der 
      weißen, staubigen Allee zurück, am Pfau und an den Schwänen vorüber, über 
      den Steg der von der Allee aus über den Bach in den Park führte, hinein in 
      die verwilderte Tiefe des Parks ... .  
      Später an diesem Tag aber wurde ich von meiner Mutter zur Schule 
      zurückgeleitet, später an diesem Tag stand ich mit meiner Mutter vor der 
      Klassentür im Korridor, und meine Mutter klopfte an die Klassentür, und 
      der Lehrer öffnete die Tür von innen, und drinnen wandten alle Gesichter 
      sich mir entgegen, drinnen waren alle zur Gemeinschaft zusammengeschlossen 
      und ich war der Zuspät-gekommene. Und jeden Tag ging ich mit Friederle die 
      Allee hinab .... . Wir kamen an den Platz, an dem die Straße zur Schule 
      abbog, und Friederle schlug sein Bein zwischen meine Beine und ich 
      stürzte, der Ranzen ging auf, die Bücher flatterten hinaus... , die 
      Schwammdose rollte weit über das Pflaster, bis vor die Schaffner hin, die 
      hier, an der Endstation, auf den Stufen der Straßenbahn saßen und ihr 
      Frühstück verzehrten, und lachend und an ihren Broten kauend warfen mir 
      die Schaffner die Dose zu ... . Hier an diesem Platz, an dem die Straße 
      zur Schule abbog, begann eine in sich geschlossene, verhexte Welt, dicht 
      ineinandergeschoben lag das Gemäuer festungsähnlicher Gebäude, mit 
      Einblicken in Höfe und Ställe, ein aus groben Steinen erbauter Kirchturm 
      stieg aus den Schindeldächern empor, in einem Rad auf der Spitze des 
      Kirchturms hatten Störche ihr Nest errichtet und schlugen mit ihren langen 
      spitzen Schnäbeln aufeinander ein. ... Auf dem Schulhof erhob sich ein 
      kleines steinernes Gebäude mit gewölbtem, abgeschabtem Tor, und wenn man 
      die Augen nah an die Fensterscheibe preßte und sie seitlich mit den Händen 
      beschirmte, konnte man drinnen im Halbdunkel den Wagen mit den hohen, 
      gedrechselten Pfosten und dem schwarzen Baldachin sehen, und manchmal 
      ereignete es sich, daß der Kutscher kam, in einem langen Gehrock, mit 
      seinem großen, schwarzen Pferd, bedächtig öffnete er das Tor, spannte das 
      Pferd in die Deichseln und lenkte den knarrenden Wagen hinaus. Die 
      gellende Klingel rief uns in die Klasse. Hier surrte und staubte es um die 
      splittrigen, nach Tinte und Angstschweiß riechenden Pulte. Ich packte die 
      Schiefertafel und die zerbrochenen Griffel aus. Der Lehrer rief mich auf. 
      Ich hatte seine Frage nicht verstanden, ich verstand nie seine Fragen. ... 
      Nun, was habe ich gefragt, fragte er, und rieb mein Ohr mit den Knöcheln 
      seiner geballten Hand, ... aus den Bänken kicherte es. ...  Am Ohr 
      wurde ich hinauf auf das Podium vor die Wandtafel gezogen, und was ich dem 
      Lehrer und der Klasse jetzt vormachen mußte war, wie man die geöffnete 
      Hand unter den gehobenen Rohrstock hielt. Es war eine schwierige Übung, 
      denn die Hand wollte nicht stillhalten unter dem Rohrstock, immer wieder 
      zuckte sie zurück. Die Klasse war eine einzige, dicke, blutdürstige 
      Stille. ... Und der Lehrer schrie, wie, willst du deiner Strafe entgehen, 
      und ... wieder pfiff der Stock herab, bis er endlich die Hand traf, und 
      der brennende Striemen sich über die Handfläche hinzog. Blind unter 
      aufschießenden Tränen, ... stolperte ich in meine Bank zurück. Dies war 
      es, was ich in der Schule lernte, wie man die Hand unter den Rohrstock des 
      Lehrers hielt.    |